Theologie der Erde.pdf(479.54 kB)
Dabei geht es zunächst einmal um Latours terrestrischen Ansatz selbst (1.). Dieser wird sodann in ein Gespräch mit wichtigen theologischen Diskursen des 20. Jahrhunderts verwickelt (2.), um abschließend noch einige Arbeitsaufträge für eine ›erdbewusste‹ Theologie zu formulieren (3.).
Diese [>erdbewusste< Theologie] begreift die sich anbahnende Klimakatastrophe als ein genuines Thema des gesamten Gottesdiskurses, das sich nicht einfach an die christliche Sozialethik delegieren lässt.
Forderung: terrestric turn der Theologie (S.116)
1. Bruno Latours terrestrische Soziologie
"Also: Kein großes Anderswo und Anderswann, sondern einfach nur die pure Immanenz."
Das französische Wort »terrestre« lässt sich im Deutschen am ehesten mit dem Adjektiv »erdverbunden« wiedergeben. Den biblischen ›Erdling‹ Mensch (hebr. adám) bestimmt Latour von dorther neu:
»[Es ist] [...] vielleicht an der Zeit, nicht mehr von Menschen, Humanwesen, zu sprechen, sondern von Terrestrischen, von Erdverbundenen [...], um damit den Humus [...] herauszustreichen, der in der Etymologie von ›human‹ steckt. (Erdverbunden hat den Vorteil, dass es weder Geschlecht noch Gattung angibt ...).« (Gaia, 421) S.119
Dem alten Menschen der klassisch »MODERNEN« stellt Latour nun den neuen der spätmodern »ERDVERBUNDENEN« entgegen und fragt: »Sind wir noch modern oder schon terrestrisch?« (S.119)
Terrestrisch ist Latour zufolge eine zweifach strukturierte, nichtidentitäre Existenzweise, welche die gesellschaftliche Differenz von lokal ortsverwurzelten »Somewheres« und global raummobilen »Anywheres« überschreitet. Sie könnte dazu führen, sich in einem offenen Heimatbegriff nun »einerseits an einen bestimmten Boden zu binden und andererseits weltbezogen zu werden« (S120)
Politisch geht es Latour zufolge darum, den »Geschmack am Lokalen, die Ver- bundenheit mit der Heimaterde, die Wahrung zugehöriger Traditionen« einerseits vom »Kainsmal der Reaktion« zu befreien und ihn andererseits auf eine neuartige globale Diversität der verschiedensten Existenzweisen hin zu öffnen. (S122)
Auch wenn es keine gemeinsame WELT mehr gibt, so gibt es doch immer noch eine gemeinsame ERDE – und deren allmähliches ›Zurückschlagen‹ betrifft letztlich alle Menschen in gleicher Weise. (122f)
2. Resonanzen im theologischen Diskursarchiv
Es geht um eine Theologie der Deep incarnation, das heißt um eine umfassende Inkarnation Gottes in den Tiefen der irdischen Materie. (S124)
»
Deep incarnation ist der Überzeugung, dass [...] Gott sich – indem er in der partikularen Lebensgeschichte des Juden Jesus aus Nazareth Gestalt annahm – zugleich auch mit den materiellen Bedingungen kreatürlicher Existenz (›alles Fleisch‹) verband, das Schicksal aller biologischen Lebensformen (›Gras‹ und ›Lilien‹) teilte [...] und auch den Schmerz empfindsamer Kreaturen (›Spatzen‹ und ›Füchse‹) von innen heraus erlebte.« (
Gregersen, Edwards, Deep incarnation, 21) (S126)
Müssen wir die Inkarnation retten?
3. Terrestrische Rede von Gott angesichts der Klimakatastrophe
Nach der anthropologischen Wende Karl Rahners braucht es heute eine terrestrische Wende der Theologie. (S143)
Heute gilt es, – mit Rahner über ihn hinaus – im terrestrischen Rahmen einer Soziologie der flachen Welt die »Immanenz der Transzendenz« theologisch zu entdecken: »Wer hat uns gesagt, dass Transzendenz ein Gegenteil haben muss?« (S144)
Transzendenz gäbe es dann (...) in terrestrischer Perspektive nur »innerhalb der Grenzen des Planeten, innerhalb seiner multiplen Welten«
Immanenztheologie zu betreiben bedeutet daher nicht nur, in einer flachen Welt von Gott zu reden, sondern auch auf dem Boden einer Erde, die sich in zunehmendem Maße gegen ihre menschlichen Feinde zu wehren beginnt. Klimaforschung, Geologie und Geografie werden somit einerseits für die Pastoraltheologie zu unverzichtbaren Partnerdisziplinen, andererseits aber auch für die Theologie insgesamt – inklusive der Dogmatik, für welche diese Disziplinen einer umfassenden ›Erdkunde‹ heute einen höchst relevanten locus alienus darstellt. (S145)
Jenseits eines häufig anzutreffenden »religiösen Schöpfungskitsches« wären heute herkömmlichere Formen einer entsprechend harmlosen Schöpfungstheologie in eine klimakritische
»carbon theology« zu transformieren. s.
A political theology of climate change von Michael Northcott »Kohle [carbon] ist vor allem anderen jene Substanz, die eine neue Beziehung zwischen Menschheit und Planeten initiierte [...]. Kohlebefeuerte Dampfmaschinen waren die ersten Fahrzeuge, die Menschen schneller als der Galopp eines Pferdes oder ein windgetriebenes Boot bewegten – sie eröffneten somit die moderne Ära einer extremen Geschwindigkeit und einer synchronen globalen Zeit. Millionen Jahre bevor ihr umfassender Gebrauch das Anthropozän anstieß, war die Kohle für die Menschen in einem noch grundlegenderen Sinn wegweisend.«
»Kohle ist gespeichertes Sonnenlicht. Die Verbrennung von Kohle setzt prä- historisches Karbon in die Atmosphäre frei, das in der Erdkruste gespeichert war. Dieses gespeicherte Karbon repräsentiert die Tätigkeit von Millionen Pflanzen und anderen Lebewesen, die [...] nach und nach in die Erdkruste einsanken. Somit schlossen sie ausreichend viel CO2 ein, um das Gleichge- wicht von Kohlenstoff und Sauerstoff in der Atmosphäre zu verändern und so die klimatischen Bedingungen für die Evolution [...] des Homo sapiens zu schaffen [...]. Ohne Kohle würde es nicht nur keine modernen Menschen ge- ben – ohne sie würde es überhaupt keine Menschen geben.«
»Die fossilen Energieträger, die in den Tiefen der Erde verbleiben, befinden sich [...] in den Händen Gottes. Die Klimakrise verweist darauf, dass – um Gott [...] zu ehren – lokale und nationale Gemeinschaften Wegen finden sollten, ihre fossilen Brennstoffe in den Tiefen der Erde zu bewahren. Zugleich sollten sie eine neue Energiewirtschaft schaffen [...], die von Sonnenlicht, Wind und Biomasse abhängt – und so jene [...] Verbindungen von Natur und Kultur, Land und Leben, Liebe zum Nächsten und zur Natur wiederherzustellen, die für den jüdischen und christlichen Messianismus einer herrschaftskritischen Liebe so zentral ist.«
Wagen wir nach diesen ersten Erkundungen nun ein abschließendes Zwischenfazit mit Blick auf die theologische Methodik einer von Bruno Latour inspirierten, terrestrischen Rede von Gott. Hatte Johann B. Metz Ende der 1960er Jahre noch von einer »Theologie der Welt« gesprochen, so wäre diese angesichts heutiger Zeichen der Zeit zu einer ›Theologie der Erde‹ weiterzuentwickeln. (S153)
Zusammenfassung (AI)
This text discusses the need for a shift in theological discourse in response to the impending climate catastrophe. It proposes a 'terrestrial turn' in theology, inspired by Bruno Latour's terrestrial sociology, which emphasizes a deep connection to the Earth.
- Bruno Latour's Terrestrial Sociology: Latour introduces the concept of 'terrestrial' or 'earthbound' humans, questioning whether we are still modern or already terrestrial. He suggests a doubly structured, non-identical existence that transcends societal differences and encourages an open concept of home that binds us to a specific ground while becoming world-related.
- Resonances in Theological Discourse: The text discusses the idea of 'Deep Incarnation', which suggests a comprehensive incarnation of God in the depths of earthly matter. This concept implies that God, through the life of Jesus, also connected with the material conditions of creaturely existence and shared the fate of all biological life forms.
- Terrestrial God-Talk in the Face of the Climate Catastrophe: The text suggests that after the anthropological turn of Karl Rahner, there is now a need for a 'terrestrial turn' in theology. It proposes an 'Immanence Theology', which means talking about God in a flat world and on the ground of an Earth that is increasingly defending itself against its human enemies. The text also suggests transforming traditional creation theology into a climate-critical 'carbon theology'.
In conclusion, the text suggests evolving from a 'Theology of the World' to a 'Theology of the Earth' in response to the signs of the times.
Dieser Text diskutiert die Notwendigkeit einer Veränderung im theologischen Diskurs als Reaktion auf die bevorstehende Klimakatastrophe. Er schlägt eine 'terrestrische Wende' in der Theologie vor, inspiriert durch Bruno Latours terrestrische Soziologie, die eine tiefe Verbindung zur Erde betont.
- Bruno Latours Terrestrische Soziologie: Latour führt den Begriff der 'terrestrischen' oder 'erdgebundenen' Menschen ein und stellt die Frage, ob wir noch modern oder bereits terrestrisch sind. Er schlägt eine doppelt strukturierte, nicht-identische Existenz vor, die gesellschaftliche Unterschiede überwindet und ein offenes Heimatkonzept fördert, das uns an einen bestimmten Boden bindet und gleichzeitig weltbezogen macht.
- Resonanzen im Theologischen Diskurs: Der Text diskutiert die Idee der 'Tiefen Inkarnation', die eine umfassende Inkarnation Gottes in den Tiefen der irdischen Materie nahelegt. Dieses Konzept impliziert, dass Gott sich durch das Leben Jesu auch mit den materiellen Bedingungen kreatürlicher Existenz verbunden hat und das Schicksal aller biologischen Lebensformen teilte.
- Terrestrische Gottesrede angesichts der Klimakatastrophe: Der Text schlägt vor, dass nach der anthropologischen Wende von Karl Rahner nun eine 'terrestrische Wende' in der Theologie notwendig ist. Er schlägt eine 'Immanenztheologie' vor, was bedeutet, über Gott in einer flachen Welt und auf dem Boden einer Erde zu sprechen, die sich zunehmend gegen ihre menschlichen Feinde zur Wehr setzt. Der Text schlägt außerdem vor, die traditionelle Schöpfungstheologie in eine klimakritische 'Kohlenstoff-Theologie' zu transformieren.
Zum Abschluss schlägt der Text vor, angesichts der Zeichen der Zeit von einer 'Theologie der Welt' zu einer 'Theologie der Erde' weiterzuentwickeln.