Gestern hatte ich Andrew Perriman zu Gast in unserem Podcast. Er ist ein Theologe des Neuen Testaments, Dozent an der London School of Theology, hat mehrere Bücher geschrieben und war Teil eines Gemeindegründungsnetzwerks namens Communitas International.
In der Sendung diskutieren wir über die so genannte narrativ-historische Methode, wenn es um die Auslegung der Heiligen Schrift geht. Das ist eine große Herausforderung für unsere typische evangelikale Herangehensweise, aber ich denke, es lohnt sich, darüber nachzudenken, um die Bibel besser lesen zu können.
Nur als Hinweis: Die Sprache wird aus theologischer Sicht sehr technisch.
Sie können Andrews Arbeit unter
www.postost.net nachlesen.
EMERGING CHURCH 2004 Konferenz mit Tom Wright endet mit dem Tenor der Teilnehmer:innen: "You gave us the bible back!"
Weil Perriman bei einem Missionswerk mit Gemeindegründung involviert war, war sein Ansatz immer stark von der Frage geprägt: Was ist die Mission der Kirche?
Die letzten 20 Jahre war, was kirchliche Formen betraf, zwei Jahrzehnte des Experimentierens (zumindest in London).
Der Begriff: narrativ historischer Zugang oder historisch-narrative Methode:
Historisch (Geschichte)
Narrativ (Geschichten erzählen!)
Was es nicht ist: keine narrative Theologie!
SO: Wir erzählen Geschichten, was Gott in unserer Zeit tut. Stories über Krisen (apokalyptisch) und sein Mitsein und Lösungen.
Es gibt also Gemeinschaften, die sich Geschichten erzählen (vgl. "erzählende Affen")
So erzählen die Evangelien, was vor ihnen liegt, für uns liegt es in der abgeschlossenen Vergangenheit. Wir haben aber die Aufgabe, nach vorne zu sehen, also zukunftsorientiert Theologie zu treiben, mit der einzigen eschatologischen Frage: Was wird in Zukunft kommen?
Den Römerbrief lesen wir heute vor und nach dem "Christentum" (wie es die konstantinische Phase darstellt).
"Rechtfertig durch Glauben" von Paulus Perspektive ist; Die Leute Gottes haben eine Zukunft!
Die lutherisch-augustinische Lesart ist zu individualistisch. Es geht um die Hoffnung auf deine Zukunft für das Volk Gottes.
- Die Auferstehung Jesu hat diese Zukunft eröffnet
- Die Kirche ist die Gemeinschaft der "neuen" Zukunft
Ich werde gerechtfertigt, dass mein Glaube an diese konkrete Zukunft richtig war. Eschatologische Denkform!
Welche Krise ist Fokus im Neuen Testament?
Ich nutze die Horizont-Metapher: Es gibt 2 solche Horizonte im NT:
1. Jesus sieht die Krise des jüdsch-römischen Krieges um 70 Jahre n. Chr. (mit katastrophalem Ergebnis für den tempel, die jüdische Gesellschaft und die Existenz): Es gibt diesen schmalen Pfad für ganz wenige, die diese Katastrophe überleben werden.
Gott wird sie in diesen zerrütteten Zeiten nicht verlassen! Das ist der Ausblick auf das "Danach" dieser Katastrophe.
2. Paulus sieht die Krise des römischen Imperiums, die größere griechisch-römische Welt: Zielgruppe sind Juden, die Geschichte ist eine jüdische Geschichte. Die Heiden fangen erstaulicherweise Feuer mit der Frage, was das denn für ihre Welt bedeuten könnte: Das ist der 2. Horizont (was passiert mit dem Imperium Romanum?)
Gott habe mit den "Götzenbildern" und der ganzen griechischen Unkultur seine Geduld verloren und wird das ganze heidnisch-politische System stürzen, Kultur, Sexualethos, Umgangsformen: Gott wird das alles durch Jesus richten (einem erwählten Mann Gottes).
Von Jerusalem nach Spanien: Gospel: Das wird eine neue Zukunft für das Imperium bedeuten (Röm 15! ist der Schlüssel).
Jesus wurde ein Diener der Umstände, um die Verheißungen der Väter zu erfüllen. Die Heiden werden den Gott Israel preisen, weil er etwas für sein Volk tut. Und der Abkömmling von David wird die Weltherrschaft antreten.
Auferstehung ist wichtig als Erhöhung zur politisch-machtvollen Aufgabe des Umsturzes.
Indem wir Christen seinen Geist empfangen, startet dieser Umsturz.
Der Schlüsselgedanke ist: Wie weit können Menschen überhaupt nach vorne schauen? Einige Jahre? Je nach Fragestellung einige Jahre oder 50 Jahre. Wir können nicht weiter denken. Wir können nicht 1000-3000 Jahre vorausschauen!
Vom Alten Testament lernen wir, dass Gott die historisch realistischen Ereignisse ankündigen lässt, z.B. das Exil, die Rückkehr 70 Jahre danach... Das ist realistisch, das Neue Testament ist da nicht anders drauf.
Nur das letzte Gericht in der Offenbarung 21 ist einzig ein letzter Ausblick für alle Menschen. Was aber alle anderen eschatologischen aussagen betrifft, geht es um die nahe Zukunft der politischen Sphäre.
Die übliche Hermeneutik will dann die historischen Informationen "theologisch verallgemeinern" (für unsere Zeit anwenden). Damit wird eine historische vergangene Zufälligkeit eine universelle Wahrheit für uns und alle...
Paulus und Jesus sind eine Art jüdische Propheten für ihre Zeit.
Das paulinische Formel zu dem "Leben des zukünftigen Zeitalters" wird dann heute mit dem geschichtsfernen, idealisierten "Körperlosen" ewigen Leben" für alle übersetzt.
Der rote Faden der Bibel
Abraham wird erwählt, um eine neue Schöpfung im Mikrokosmos des neuen Landes (Kanaan) zu gründen.
Alles Geschichten drehen sich im Rückblick oder Vorblick auf dieses Konzept
Neues Testament ist eine fundamentale Weiterführung des Alten Testamentes
Das einzig neue ist die Übersetzung dieser Geschichten in eine griechische Kultur.
Die Erwartung geht im übrigen nicht darum, dass das ganze Imperium "christlich" wird, sondern dass die Kirche priesterlich ihren Job für das Imperium macht. Die alten heidnischen Priesterkaste wird ersetzt durch eine christliche Priesterkaste.
Mit den Kirchenvätern (patristische Periode) beginnt das "Neue", ein neue Weltanschauung.
Und wie Geschichte immer ist: Die Erfüllung erfüllt sich immer unidealistischer als die Visionen es ansagen. Die Wirklichkeit der Kirche im neuen Zeitalter ist also niemals vollkommen zu erwarten.
Das gibt uns eine Vorlage für unsere Historie zu denken: Wo ist Gott in diesem Historischen Moment unserer Geschichte? Das ist die solide Hermeneutik!
Was wir heute für das Volk Gottes brauchen, um die Absichten der Zukunft zu verfolgen:
Wir brauchen im Westen:
- Was für die nächsten 100 Jahre kommen wird?
- Wie begegnen wir der Klimakatastrophe?
- Wir erwarten kein "neues Christentum", das große Bild hat sich so verändert, wir haben nun zu tun mit einer globalen "Menschheit" und Themen auf "globaler Ebene", es geht nicht mehr um Königstümer lokaler Imperien. Es geht um das Globale.
- Wir müssen also die Vision vergrößern: Nun sprechen wir von Schöpfung, weil uns die Klimakrise existentiell erwischt hat. Nur dürfen wir nicht zu "weit" springen (ans Ende der "Weltzeit!"), sonst verpassen wir die historische Dimension und Erfahrung mit politischen (am allgemeinsten Sinne) Dimensionen. Es geht um Kultur, weniger um Natur. Gut, im Anthropozän prägt Kultur Natur.
UND, das ist entscheidend: Erst dann (nach der großen Story!) macht die Frage auf individueller Ebene Sinn: Was bedeutet das für meinen Nächsten? Und für mich persönlich?
Ja, es gibt einige transzendierende Teile:
- Die Auferstehung Jesus
- Die Märtyrer machen außergewöhnliche Erfahrungen und glaubten an eine besondere Auferstehung (als Leidenden in Verbindung mit ihrem Herrn und Vorbild)
- für die meisten Christen ging und geht es schlicht weiter darum, das Zeugnis über den Gott Israels treu weiter zu geben.
- Und Christentum ist eine vorübergehende Phase dieser großen Geschichte.
Grundsätzlich gilt für die systematische Theologie: Sie steht in der Gefahr, die Geschichte zu entkontextualisieren, um zu ewigen Wahrheit zu finden. So ist das Präteristische und Unitarisch-/Trinitarische Labeln nicht sinnvoll.
Die Jesus-ist-Herr-Formel ist keine trinitarische Formel. Es geht um die Kingdom-Sache. Du brauchst einen König, wenn es um ein Königtum geht. Du brauchst einen König, wenn es eine politische Krise gibt, damit jemand Recht spricht oder für Recht und Ordnung sorgt.
Trinitätsvorstellung sind im 4. und 5. Jahrhundert zu kontextualisieren! Wir brauchen das nicht zu vergessen. Aber heute geht es um eine missionale Situation, in der wir Theologie zu treiben haben.
Widerstände gegen das historisch-narrative Paradigma
Wir sind Teil einer Institution, Tradition, mit all den Liedern und Ritualen.
... meine Hoffnung ist, wenn diese zusammenbringen, ihre Einflussmacht verlieren, erlaubt das vielleicht dass ein neues Narrativ hervorbrechen kann. In den Niederlande oder in UK ist dieser Prozess schon viel weiter als bei uns in Deutschland.
Die historisch-Kritische Exegese hat vieles von diesen Interpretationen freigelegt, auch wenn sich das ganz alte historische Paradigma noch nicht übernommen wird, ... vielleicht braucht es noch 1-2 Generationen. Vielleicht wird diese Generation diese wirksame Weise der Bibellektüre übernehmen und in ihrer Zeit nutzen.
Ausblick für die Forschung
- Meine Frau macht viel rund um Klimathemen und Krise
- Jetzt ist ein Schlüsselmoment in der Gottesgeschichte (größer als das 2. Kommen Jesu in Konstantins Zeiten)
- jetzt im Übergang zum Anthropozän wird es darauf ankommen, was Gottes Geschichte nun mit uns ist.
P.S. Der Blog wurde 2009 gestartet nachdem es eine Opensource-Theology-Phase gab.
Verfasst von Yinka am Mi, 18/04/2012 - 18:35
Glauben Sie mir, ich möchte nicht der hiesige Flammenwerfer sein, denn Dr. Perriman ist ein gut erzogener Brite. Aber ich denke, das ist der Grund, warum wir ihn immer wieder lesen. Für einen Theologie-Blog ist das eine erfrischende Eigenschaft.
Also, los geht's: Die "Orthodoxen", die auf dem Glauben an die Gottheit Christi als ausreichend und notwendig für die Erlösung bestehen, sind falsch, schlecht informiert und offen gesagt, geistlich krebserregend. Es ist buchstäblich giftig, diese Art von Unsinn zu verbreiten. Die platte ahistorische Lesart des Neuen Testaments hat dem Glauben von Millionen von Menschen auf der ganzen Welt unermesslichen Schaden zugefügt und tut es noch. Ich muss es wissen, denn ich war einer von denen, die ernsthaft über einen frühen Austritt nachdachten. Vielleicht bin ich einfach nur ein unverbesserlicher Eierkopf, aber die erzählende historische Sichtweise hält mich bei Verstand und in der Kirche. Noch wichtiger ist für mich, dass sie deutlich macht, was ich als Teilnehmer des 21. Jahrhunderts an dieser großen Geschichte im Einklang mit meiner Glaubensfamilie tun sollte - einem Volk, das danach strebt, Zeugnis von Jesu Herrschaft über unsere Welt abzulegen. Für mich ist das der Umfang der guten Nachricht, die nach Ostern verkündet wurde. Das ist doch eine ziemlich einfache Sache, oder?